Reiche Tradition seit 1915 im Haus Wendt & Kühn

Im Sommer des Jahres 1884 sahen die Einwohner von Grünhainichen, ganz besonders natürlich die Spielzeugmacher des aufblühenden Ortes, mit großen Erwartungen der Ankunft des neuen Lehrer der Gewerbeschule entgegen. Albert Wendt leistete nicht nur als Lehrer und später als Direktor der Fachgewerbeschule zu Grünhainichen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der ortsansässigen Spielwarenherstellung, er besuchte auch die Handwerker in ihren Werkstätten und machte sie mit technischen Neuerungen der damaligen Zeit vertraut.

 

So wundert es natürlich nicht, dass sich die Tochter von Albert Wendt, Margarete (genannt Grete) Wendt,

schon in früher Jugend für das Bauen und Basteln, das Zeichnen und Malen begeisterte. Vom Elternhaus

wurde Talent und Neigung gefördert, und so besuchte Grete Wendt von 1907 bis 1910 die Kunstgewerbeakademie in Dresden, einer Stadt, die ausgesprochen vielfältige kulturelle Anregungen bot.

Noch während ihres Studiums beauftragte Karl Schmidt, der Gründer der Deutschen Werkstätten Hellerau, Grete Wendt mit dem Entwurf einer Weihnachtskrippe.

 

Nach Beendigung des Studiums arbeitete Grete Wendt in Dresden und München und kehrte 1912 nach Grünhainichen zurück. 1913 beteiligte sie sich an einem Wettbewerb für gute Reiseandenken das Vereines Sächsischer Heimatschutz mit der Figurengruppe der inzwischen legendären "Beerenkinder" und errang mehrere Preise.

Die Veröffentlichungen des preisgekrönten Figurenentwurfs der drei "Beerenkinder" führten zu einer Vielzahl von Bestellungen, die vorerst von eigens beauftragten Spielzeugmachern sowie in der elterlichen Wohnung ausgeführt wurden. In dieser Zeit reifte Grete Wendts Wunsch, sich mit einer eigenen Firma selbständig zu machen.


Gemeinsam mit ihrer Dresdner Studienfreundin Margarete Kühn, die dem Ruf nach Grünhainichen gefolgt war, gründete sie am 1. Oktober 1915 die offene Handelsgesellschaft "M.Wendt u. M.Kühn", ein zur damaligen Zeit ungewöhnlicher und mutiger Schritt. In den ersten Jahren der Firma widmet sich Grete Wendt fast ausschließlich der Figurenbildnerei (es wurden von ihr aber auch Puppenmöbel entworfen), während Margarete Kühn hauptsächlich Truhen und Spanschachteln entwarf und bemalte.

 

 Schon 1916 beteiligte sich die junge Firma erstmalig an der Leipziger Frühjahrsmesse.

Im Januar 1919 übernahm Johannes Wendt, der Bruder Grete Wendts, die kaufmännische Leitung des sich vergrößernden Unternehmens und wurde Mitinhaber.

Außerdem meldete man in diesem Jahr das noch heute verwendete Firmensignet aus der wettergezeichneten Tanne mit den Insignien W.u.K. zum Schutz an. Entworfen hatte es die Lehrerin der beiden Firmengründerinnen an der Dresdner Kunstgewerbeakademie, Frau Prof. Junge.

Die Mitbegründerin Margarete Kühn verließ nach ihrer Heirat Ende 1921 die Werkstätten.

Im Februar 1920 kam Olly Sommer, ebenfalls eine Absolventin der Dresdner Kunstgewerbeakademie, als

tatkräftige Unterstützung in die Grünhainichener Werkstätten. Olly Sommer, die später die Ehefrau von Johannes Wendt wurde, entwarf zum einen selbst Figurengruppen (so z.B. die bekannte Mondfamilie von 1925) und schuf andererseits jedoch vor allem die äußerst liebevollen Bemalungen für viele Erzeugnisse.

 

Die Anerkennung der völlig neuen Figurenbildnerei von Grete Wendt, bei der erst beim Zusammenfügen der gedrechselten, gesägten, gefrästen und geschliffenen Holzteile die figürliche Komposition entsteht, erreichte mit der "Goldmedaille" und dem "Grand Prix" für den Engelberg mit Madonna zur Pariser Weltausstellung 1937 internationales Ansehen.

Geschaffen in der guten Tradition erzgebirgischen Spielzeugs jener Zeit, zeugten die kindlichen Figuren jedoch von einer eigenen, künstlerischen Handschrift, die mit einer Vielzahl feinsinniger Entwürfe den Erfolg des kleinen Unternehmens begründete.

 

 

Während des 2. Weltkrieges musste die Figurenfertigung stark eingeschränkt werden. Mit der Modellherstellung für Offiziersschulen konnte man sich einigermaßen "über Wasser" halten und nach Kriegsende wurde das kleine Unternehmen zunächst als Einzelfirma weitergeführt.

Hans Wendt, der Sohn von Johannes und Olly Wendt, trat nach seiner Drechslerlehre und dem Ingenieurstudium 1954 in die Firma ein und übernahm schon kurze Zeit später die Werkstattleitung. Er konnte auch als späterer Betriebsdirektor den 1972 zwangsverstaatlichten Betrieb unter dem Namen VEB Werk-Kunst Grünhainichen weiterführen, während Grete Wendt mit dem Tag der Verstaatlichung die Manufaktur verließ. Sie verstarb 1979 im Alter von 92 Jahren.

 

Aber auch in den Jahren der DDR gelang es erfolgreich, der Massenproduktion zu entgehen und die unverwechselbare künstlerische Qualität der "Kinder aus dem Hause Wendt & Kühn" zu wahren: Eine äußerst weitsichtige Philosophie, denn somit blieb die Grundlage für eine erfolgreiche Reprivatisierung der Grünhainicher Werkstätten unangetastet.

 

Am 1. Juli 1990, im 75. Jahr der Firmengründung, begann ein neuer Zeitabschnitt für Wendt & Kühn. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurde das Unternehmen reprivatisiert. Olly Wendt konnte dieses Ereignis noch miterleben, sie starb aber ein Jahr später, im Jahr 1991.

 

In Verantwortung für die traditionsreiche Manufaktur, für die Menschen im Unternehmen und die Region wurden jetzt längst nötige Investitionen am Standort Grünhainichen getätigt. Schrittweise erfolgte eine gezielte Modernisierung des Maschinenparks, der sorgsame Umbau der alten Werkstätten und die Rekonstruktion des historischen Fachwerkhauses sowie der Neubau von Produktionsgebäuden.

 

Von den ehemals 100 Beschäftigten zum Zeitpunkt der Reprivatisierung fertigen derzeit 155 Mitarbeiter die feinen figürlichen Kompositionen. Denn trotz aller Veränderungen ist Wendt & Kühn bis zum heutigen Tag eine Manufaktur geblieben: Manu factum - von Hand gemacht. An diesem traditionellen Fertigungsprinzip wurde seit 1915 nur wenig verändert. Selbstverständlich werden bei uns Maschinen dort eingesetzt, wo sie die menschliche Handarbeit erleichtern helfen. Doch ihre ganze Kunstfertigkeit geben unsere Spielzeugmacher den kleinen Kunstwerken in liebvoller Handarbeit mit auf den Weg - zur Freude unserer Sammler und Liebhaber in der ganzen Welt. Diesem Geheimnis ist es zu verdanken, dass die "junge alte" Manufaktur auch nach dem Neubeginn 1990 eine so erfolgreiche Entwicklung nehmen konnte.

Und eine weitere erfolgreiche Tradition findet ihre Fortsetzung. Am 1. Oktober 1997 tritt mit Tobias Wendt, dem jüngsten Sohn von Hans Wendt, die nächste Generation in das Familienunternehmen ein. Zunächst als Betriebsingenieur und wenig später als Geschäftsführer. übernimmt er am 1. Januar 2002 aus den Händen seines Vaters die Führung der Manufaktur. Nach bewegten 47 Jahren unermüdlicher Tätigkeit für das Haus Wendt & Kühn wird Hans Wendt am 7. Oktober 2002 für sein Lebenswerk unter anderem mit dem "Bundesverdienstkreuz" geehrt.

 

Mutig nimmt zugleich im Dezember 2002 ein neues Vorhaben Gestalt an: In Seiffen wird nach nur wenigen Monaten Bauzeit ein neu erworbener Gebäudekomplex komplett saniert, umgebaut und als große Verkaufsgalerie "Wendt & Kühn Figurenwelt Seiffen" im Oktober 2003 eröffnet. Auf ca. 250m² erhält hier der Besucher einen faszinierenden Einblick in die große Welt kleiner Figuren aus den Werkstätten Wendt & Kühn sowie in die kunstvolle Fertigung und bewegte Geschichte der Grünhainichener Manufaktur, die im Jahre 2010 ihr 95. Gründungsjubiläum feierte.

 

Nach schwerer Krankheit verstirbt Hans Wendt im Alter von 78 Jahren am 10. September 2008 in Dresden.

Tobias Wendt scheidet mit Ende des Jahres 2010 aus dem Unternehmen aus. Ab 1.Januar 2011 übernehmen seine beiden Geschwister, Claudia Baer, geb. Wendt, und Florian Wendt die Führung des Familienunternehmens, und lenken die Geschicke der Manufaktur weiter.

Text aus Figurenbuch der Grünhainichener Manufaktur  Produktkatalog 2011/2012 3. Auflage Januar 2011

Wendt & Kühn KG, Chemnitzer Straße 40, 09579 Grünhainichen